Der "Eiserne Vorhang"
Der "Eiserne Vorhang" (aus dem Jahre 1956)Seit dem Jahre 1921 bildet der "Eiserner-Kanal" mit seinem diesseitigen Damm die Grenze zwischen Österreich und Ungarn. Diese Grenze trennt auch ca. 213 ha Wiesen und Ackerland vom Wallerner Hotter. Die Eigentümer dieser Grundstücke waren bis zum Jahre 1948 berechtigt, ihren auf ungarischem Boden liegenden Grund zu bearbeiten und die Früchte nach Österreich herüberzubringen. Um den kleinen Grenzverkehr zu ermöglichen, besaß jeder, der drüber der Grenze landwirtschaftliche Arbeit zu verrichten hatte, einen Dauer-Grenzübertrittsschein. Südlich von Wallern, führte eine Holzbrücke über den "Einser-Kanal". Die Steuer für diese Gründe wurde nach Ungarn gemäht und jedes Jahr im Herbst kassierten ungarische Steuerbeamte diese Abgaben in unserer Gemeinde ein. So war die Lage bis zum Jahre 1948.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges im Mai 1945 waren die Grenzen zwischen Ungarn und Österreich zunächst unbewacht. Ungarn kamen mit Lebensmitteln herauf und tauschten hier Gebrauchsgegenstände und Industrieartikel ein. In den Nächten kamen aber auch lichtscheue Elemente, die auf Diebsbeute ausgingen. Zum Schutze der Bevölkerung wurden bei uns und auch in den Nachbargemeinden in der Nacht Wachen aufgestellt, die solche unerwünschte Besuche verhindern sollten. im Orte selbst waren keine Unzukömmlichkeiten zu verzeichnen, im Gasthaus "Bohatsch" beim "Einser-Kanal" ereignete sich aber eine gräßliche Bluttat. Am 18.5.1946 um 17 Uhr 30 fand man den neuen Gasthausgeber, Matthias Fiala, schwer verwundet, seine Frau, Ludmilla, ferner Frau Antonia Wagner, geb. Bohatsch und deren Sohn, Günter Wagner im Gasthause ermordet auf. Trotz eifriger Nachforschung konnten die Täter bisher nicht ausgeforscht werden. Das Gebäude wurde in den folgenden Jahren abgetragen. Heute (1956) sind nur mehr Reste der Grundmauern vorhanden.
In den nächsten Jahren nach 1948 wurde der Grenzübergang bei uns gesperrt, die Holzbrücke und ungarischer Seite aus abgebrochenen und somit jeder Verkehr mit Ungarn unterbunden. Hier und da kamen ungarische Jungmänner über den Kanal. Sie verdingten sich in Österreich als Knechte und fanden somit nicht nur bessere Lebensbedingungen, sondern sie entgingen auch der Militärpflicht in Ungarn.
Als Ungarn im Jahre 1949 zu eine kommunistischen Volksdemokratie wurde, flüchteten immer mehr Ungarn über die Grenze und versuchten in die amerikanische Zone nach Wien zu kommen. Unsere Gendarmerie und Zollwache hatten einen sehr schweren Standpunkt. Einerseits hätten sie den Flüchtlingen gerne geholfen, andererseits mußten sie die Flüchtlinge der russischen Besatzungsmacht ausliefern. Unsere braven Bauern halfen nun oft, die Flüchtlinge vor dem Zugriff der Russen zu verbergen.
In ihrer Propaganda sprachen die Ungarn immer wieder vom "Sowjetparadies", das nun auch bei ihnen verwirklicht werden soll. Um in diesem Paradies alle Einwohner des Ungarlandes festhalten zu können, umzäunten sie ihr ganzes Land mit dreifachem Stacheldraht, verminten die Grenze und zogen außerdem einen 10 - 20 m breiten Ackerstreifen entlang der Grenze. Dieser Streifen wurde regelmäßig planiert und geeggt, damit man die Fußspuren der Grenzjäger entdecken kann. Die Minen waren mit Zugdrähten verbunden, die bei Berührung die Minen zur Explosion brachten. So mancher Flüchtling fand durch die Minen den Tod oder wurde schwer verletzt durch die ungarischen Grenzsoldaten verhaftet. Entlang der Grenze stehen in je 500 m Entfernung 20 m hohe Holztürme mit weiter Aussicht für die ungarische Grenzwache. Am Anfang war der Stacheldrahtzaun zum jenseitigen Ufer des Kanals aufgestellt, später wurde er auf den diesseitigen Damm verlegt. Ein Feldweg, der von unseren Bauern häufig benutzt wurde, verlief knapp neben dem ungarischen Minengürtel. Es war immer ein unheimliches Gefühl, wenn man diesen Weg passieren musste. Seit Errichtung dieses Grenzhauses waren wir von Ungarn hermetisch abgesperrt. Man nannte diesen Zustand "Der Eiserne Vorhang". Und es war auch so, als hätte man zwischen die zwei Nachbarländer einen eisernen Vorhang gezogen. Es drang von drüben kein Laut zu uns herüber. Wenn sich ganz selten ein ungarischer Grenzposition sehen ließ, gab er auf Anruf keine Antwort und verschwand wieder. Die ungarischen Grenzwachen bespitzelten sich gegenseitig. Keiner traute dem anderen. Dies war die Ursache, dass es trotz Hörweite zu keinem Gespräch zwischen den Grenzen kam. Im Sommer des Jahres 1956 wurden dann überraschenderweise der Stacheldrahtverhau und das Minenfeld entlang der Grenze entfernt. Das Schweigen und der "Eiserne Vorhang" blieben aber weiter.
Ende Oktober des Jahres 1956 begannen Demonstrationen in Budapest gegen die kommunistische Regierung. Diese Demonstration führte zu einem regelrechten Volksaufstand, der in kurzer Zeit das ganze Land erfasste. Die Grenzen nach Ungarn wurden, wenn auch nicht offiziell, geöffnet, Besucher kamen und gingen herüber und hinüber. Verwandte, Bekannte, die sich jahrzehntelang nicht gesehen hatten, konnten sich begrüßen und unter Tränen umarmen. Obwohl wir es wussten, sahen wir es jetzt mit eigenen Augen, wie es im ungarischen "Paradies" aussah. Unterdrückung, Unfreiheit, Armut, Elend, und Not an allen Ecken. Es begann eine wahre Völkerwanderung zur Grenze. Die Verwandten brachten Kleider, Wäsche, Lebensmittel, Schokolade, Orangen usw. Den Angehörigen, die mit Tränen in den Augen dankbaren Herzens die Gaben entgegennahmen. Die ungarischen Grenzsoldaten schimpften offen gegen die Russen und gegen die Regierung. Kinder lutschten vergnügt an der Schokolade, die sie von Burgenländern bekamen. Nur mit den Orangen wussten sie nichts anzufangen, denn diese Frucht war ihnen gänzlich unbekannt.
Diese Verbrüderung an der Grenze dauerte aber leider nicht lange. Anfangs November rief die ungarische kommunistische Regierung die Russen zur Hilfe. Der so verheißungsvoll begonnene Aufstand wurde zuerst in Budapest, dann in der Provinz blutig niedergeschlagen. Augenzeugen berichten, dass Budapest von den Russen bei den Kämpfen ärger demoliert wurde als im zweiten Weltkrieg. Nach dem blutigen Niederwerfen des Aufstandes begann das große Flüchten nach Westen in das freie, neutrale Österreich.
Ein Ruhmesblatt unserer braven Bevölkerung
Im Innsbrucker "Volksboten" stand zu lesen:
In ihrer unermüdlichen und wie selbstverständlich wirkenden Hilfsbereitschaft gegenüber den vielen Tausenden von ungarischen Flüchtlingen gab und gibt die Grenzbevölkerung des österreichischen Burgenlandes ganz Europa ein Beispiel. Ganz besonders aber muss das Dorf Wallern hervorgehoben werden. Dort brauchte kein Stützpunkt des Roten Kreuzes oder eine andere Hilfsorganisation errichtet werden. Die Bauern, Arbeiter und Handwerker des Dorfes rechen es sich zur Ehre an, den Flüchtlingsstrom, der Nacht für Nacht über die Grenze kommt, allein zu bewältigen.
Nacht für Nacht fahren die Burschen mit Traktoren hinaus an den Einser-Kanal und bringen die erschöpften, frierenden, durchnäßten Ungarn ins Dorf. Im Auffanglager werden die Flüchtlinge gelabt, können ihre Kleider trocknen und wechseln. Dann nehmen sie die Wallerner in ihre Häuser auf, wo sie schlafen können. Jede Familie versorgt "ihre" Flüchtlinge, bis sie, meist erst am nächsten Abend, von den Autobussen abgeholt werden - und von der Grenze der nächste Schub kommt -. 800 waren es schon manche Nacht, aber keiner musste im Auffanglager zurückbleiben. Mehr als 6.000 waren es bisher insgesamt. Wochenlang kam das Dorf auch für die Verpflegung allein auf, bis es einfach über seine Kräfte ging. Seither schickt das Rote Kreuz Lebensmittel zur Unterstützung. Aber die unmittelbare Hilfe leisten die Wallerner weiterhin allein. Soweit im Innsbrucker "Volksboten".
Und dies ist keine Übertreibung. Als der Flüchtlingsstrom begann und immer mehr und mehr Flüchtlinge - Männer, Frauen und Kinder - über den Kanal kamen, zeigte sich das gute Herz unserer Bevölkerung. Ohne Unterschied, ob reich oder arm, jedes Haus wetteiferte im Helfen. Im Auffanglager in der "Alten Schule" waren die Flüchtlinge immer nur kurze Zeit, denn es kamen immer wieder Frauen und Männer, die die Armen in die Wohnung zum Essen und schlafen mitnahmen. Die meisten Flüchtlinge waren wirklich zum erbarmen. Viele kamen aus Budapest, andere von noch weiter her. Alle mussten durch Wiesen und Wälder über Äcker und unwegsame Gelände 30 - 40 und mehr km in ständiger Todesangst bei Nacht und Nebel bis zur österreichischen Grenze marschieren. Und dann standen sie vor dem Kanal, dem letzten Hindernis in die Freiheit. Die mit einem ortskundigen Führer kamen, konnten den Kanal trocknen Fußes überqueren, denn es stand zu dieser Zeit zufällig ein Baggerschiff im Kanal, von welchem ein schmaler Steg zum österreichischen Ufer führte.
Auf diesem Wege war das Herüberkommen verhältnismäßig einfach. Die Schiffsbesatzung und die Grenzsoldaten, die den Flüchtlingen behilflich waren oder zumindest beide Augen zudrückten, ließen sich aber ihre Hilfsbereitschaft gut bezahlen. Sie verlangten bis zu 1.000 Forint oder Schmuck - Ringe, Ohrgehänge usw. - für das Durchschleusen. Mittellose ließen sie auch so durchgehen. Außer den Juden kamen fast alle mittellos bei uns an, nur mit dem, was sie am Leibe hatten. und das war meistens recht fadenscheinig und arm. Trotz der winterlichen Kälte durchschwammen mehrere junge Männer und Kanal, denn sie kamen ohne Führer und sahen keine andere Möglichkeit zur Übersetzung. Manchmal irrten sie stundenlang mit durchnäßten Kleidern in der Nacht herum, bis sie endlich ganz durchfroren in Dorf fanden. Die Hunde schlugen an, Hoflampen wurden aufgedreht, hilfsbereite Menschen riefen die vor Kälte schnappernden Ungarn ins Haus, halfen ihnen aus dem nassen, eisigen Kleidern und steckten sie dann in die warmen Betten, die sie selbst vor Kürze verlassen hatten. Beispiele der tätigen Nächstenliebe sah man täglich. Als von der katholischen Hilfsorganisation "Caritas" und vom Roten Kreuz der Aufruf zum Spenden für die ungarischen Flüchtlinge erging, beteiligte sich noch jedes Haus mit Geld und Sachspenden, obwohl schon jeder bisher an Kleidungsstücken und Wäsche alles Entbehrliche hergegeben hatte.
Bald errichteten obige Hilfsorganisationen und der Malteser-Ritterorden in einer Klasse der Volksschule ein Kleiderlager, wo jeder Flüchtling ordentlich eingekleidet wurde. Diese Arbeit verrichteten die Lehrerinnen unter Leitung der Frau Schuldirektor Mollay. Auch andere hilfsbereite Frauen widmeten ihre Freizeit dem guten Werk. Als das Rote Kreuz für die Verpflegung der Flüchtlinge sorgte, bemühte sich die Frau Oberamtmann Tschida mit ihren Helferinnen, den Hunger der Flüchtlinge zu stillen. Für die Kranken sorgte unser Gemeindearzt Dr. Böhme. Die Organisation der ganzen Hilfsaktion oblag dem Herrn Pfarrer Haider, dem Herrn Oberamtmann Tschida und dem Herrn Bürgermeister Fink, die Tag und Nacht zur Verfügung standen, wenn es galt, die Flüchtlinge mit Autobussen weiter zu transportieren oder fehlendes nachzuschaffen. Rühmlich wollen wir auch der freiwilligen Feuerwehr gedenken, die Tag und Nacht in dem Auffanglager Bereitschaftsdienst versah, sowie der Männer und Burschen, die in den Nächten mit Traktoren entlang der Grenze auf und abfuhren, um die Flüchtlinge aufzulesen, und so schnell wie möglich ins Dorf zu bringen.
Unsere Bevölkerung hat die Bewährung in dieser Notzeit glänzend bestanden. Ihr goldenes Herz, ihre tätige Nächstenliebe soll nicht vergessen sein, sondern in Erinnerung bleiben als leuchtendes Beispiel für spätere Generationen.
Der "Eiserne Vorhang" (aus dem Jahre 1956)Seit dem Jahre 1921 bildet der "Eiserner-Kanal" mit seinem diesseitigen Damm die Grenze zwischen Österreich und Ungarn. Diese Grenze trennt auch ca. 213 ha Wiesen und Ackerland vom Wallerner Hotter. Die Eigentümer dieser Grundstücke waren bis zum Jahre 1948 berechtigt, ihren auf ungarischem Boden liegenden Grund zu bearbeiten und die Früchte nach Österreich herüberzubringen. Um den kleinen Grenzverkehr zu ermöglichen, besaß jeder, der drüber der Grenze landwirtschaftliche Arbeit zu verrichten hatte, einen Dauer-Grenzübertrittsschein. Südlich von Wallern, führte eine Holzbrücke über den "Einser-Kanal". Die Steuer für diese Gründe wurde nach Ungarn gemäht und jedes Jahr im Herbst kassierten ungarische Steuerbeamte diese Abgaben in unserer Gemeinde ein. So war die Lage bis zum Jahre 1948.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges im Mai 1945 waren die Grenzen zwischen Ungarn und Österreich zunächst unbewacht. Ungarn kamen mit Lebensmitteln herauf und tauschten hier Gebrauchsgegenstände und Industrieartikel ein. In den Nächten kamen aber auch lichtscheue Elemente, die auf Diebsbeute ausgingen. Zum Schutze der Bevölkerung wurden bei uns und auch in den Nachbargemeinden in der Nacht Wachen aufgestellt, die solche unerwünschte Besuche verhindern sollten. im Orte selbst waren keine Unzukömmlichkeiten zu verzeichnen, im Gasthaus "Bohatsch" beim "Einser-Kanal" ereignete sich aber eine gräßliche Bluttat. Am 18.5.1946 um 17 Uhr 30 fand man den neuen Gasthausgeber, Matthias Fiala, schwer verwundet, seine Frau, Ludmilla, ferner Frau Antonia Wagner, geb. Bohatsch und deren Sohn, Günter Wagner im Gasthause ermordet auf. Trotz eifriger Nachforschung konnten die Täter bisher nicht ausgeforscht werden. Das Gebäude wurde in den folgenden Jahren abgetragen. Heute (1956) sind nur mehr Reste der Grundmauern vorhanden.
In den nächsten Jahren nach 1948 wurde der Grenzübergang bei uns gesperrt, die Holzbrücke und ungarischer Seite aus abgebrochenen und somit jeder Verkehr mit Ungarn unterbunden. Hier und da kamen ungarische Jungmänner über den Kanal. Sie verdingten sich in Österreich als Knechte und fanden somit nicht nur bessere Lebensbedingungen, sondern sie entgingen auch der Militärpflicht in Ungarn.
Als Ungarn im Jahre 1949 zu eine kommunistischen Volksdemokratie wurde, flüchteten immer mehr Ungarn über die Grenze und versuchten in die amerikanische Zone nach Wien zu kommen. Unsere Gendarmerie und Zollwache hatten einen sehr schweren Standpunkt. Einerseits hätten sie den Flüchtlingen gerne geholfen, andererseits mußten sie die Flüchtlinge der russischen Besatzungsmacht ausliefern. Unsere braven Bauern halfen nun oft, die Flüchtlinge vor dem Zugriff der Russen zu verbergen.
In ihrer Propaganda sprachen die Ungarn immer wieder vom "Sowjetparadies", das nun auch bei ihnen verwirklicht werden soll. Um in diesem Paradies alle Einwohner des Ungarlandes festhalten zu können, umzäunten sie ihr ganzes Land mit dreifachem Stacheldraht, verminten die Grenze und zogen außerdem einen 10 - 20 m breiten Ackerstreifen entlang der Grenze. Dieser Streifen wurde regelmäßig planiert und geeggt, damit man die Fußspuren der Grenzjäger entdecken kann. Die Minen waren mit Zugdrähten verbunden, die bei Berührung die Minen zur Explosion brachten. So mancher Flüchtling fand durch die Minen den Tod oder wurde schwer verletzt durch die ungarischen Grenzsoldaten verhaftet. Entlang der Grenze stehen in je 500 m Entfernung 20 m hohe Holztürme mit weiter Aussicht für die ungarische Grenzwache. Am Anfang war der Stacheldrahtzaun zum jenseitigen Ufer des Kanals aufgestellt, später wurde er auf den diesseitigen Damm verlegt. Ein Feldweg, der von unseren Bauern häufig benutzt wurde, verlief knapp neben dem ungarischen Minengürtel. Es war immer ein unheimliches Gefühl, wenn man diesen Weg passieren musste. Seit Errichtung dieses Grenzhauses waren wir von Ungarn hermetisch abgesperrt. Man nannte diesen Zustand "Der Eiserne Vorhang". Und es war auch so, als hätte man zwischen die zwei Nachbarländer einen eisernen Vorhang gezogen. Es drang von drüben kein Laut zu uns herüber. Wenn sich ganz selten ein ungarischer Grenzposition sehen ließ, gab er auf Anruf keine Antwort und verschwand wieder. Die ungarischen Grenzwachen bespitzelten sich gegenseitig. Keiner traute dem anderen. Dies war die Ursache, dass es trotz Hörweite zu keinem Gespräch zwischen den Grenzen kam. Im Sommer des Jahres 1956 wurden dann überraschenderweise der Stacheldrahtverhau und das Minenfeld entlang der Grenze entfernt. Das Schweigen und der "Eiserne Vorhang" blieben aber weiter.
Ende Oktober des Jahres 1956 begannen Demonstrationen in Budapest gegen die kommunistische Regierung. Diese Demonstration führte zu einem regelrechten Volksaufstand, der in kurzer Zeit das ganze Land erfasste. Die Grenzen nach Ungarn wurden, wenn auch nicht offiziell, geöffnet, Besucher kamen und gingen herüber und hinüber. Verwandte, Bekannte, die sich jahrzehntelang nicht gesehen hatten, konnten sich begrüßen und unter Tränen umarmen. Obwohl wir es wussten, sahen wir es jetzt mit eigenen Augen, wie es im ungarischen "Paradies" aussah. Unterdrückung, Unfreiheit, Armut, Elend, und Not an allen Ecken. Es begann eine wahre Völkerwanderung zur Grenze. Die Verwandten brachten Kleider, Wäsche, Lebensmittel, Schokolade, Orangen usw. Den Angehörigen, die mit Tränen in den Augen dankbaren Herzens die Gaben entgegennahmen. Die ungarischen Grenzsoldaten schimpften offen gegen die Russen und gegen die Regierung. Kinder lutschten vergnügt an der Schokolade, die sie von Burgenländern bekamen. Nur mit den Orangen wussten sie nichts anzufangen, denn diese Frucht war ihnen gänzlich unbekannt.
Diese Verbrüderung an der Grenze dauerte aber leider nicht lange. Anfangs November rief die ungarische kommunistische Regierung die Russen zur Hilfe. Der so verheißungsvoll begonnene Aufstand wurde zuerst in Budapest, dann in der Provinz blutig niedergeschlagen. Augenzeugen berichten, dass Budapest von den Russen bei den Kämpfen ärger demoliert wurde als im zweiten Weltkrieg. Nach dem blutigen Niederwerfen des Aufstandes begann das große Flüchten nach Westen in das freie, neutrale Österreich.
Ein Ruhmesblatt unserer braven Bevölkerung
Im Innsbrucker "Volksboten" stand zu lesen:
In ihrer unermüdlichen und wie selbstverständlich wirkenden Hilfsbereitschaft gegenüber den vielen Tausenden von ungarischen Flüchtlingen gab und gibt die Grenzbevölkerung des österreichischen Burgenlandes ganz Europa ein Beispiel. Ganz besonders aber muss das Dorf Wallern hervorgehoben werden. Dort brauchte kein Stützpunkt des Roten Kreuzes oder eine andere Hilfsorganisation errichtet werden. Die Bauern, Arbeiter und Handwerker des Dorfes rechen es sich zur Ehre an, den Flüchtlingsstrom, der Nacht für Nacht über die Grenze kommt, allein zu bewältigen.
Nacht für Nacht fahren die Burschen mit Traktoren hinaus an den Einser-Kanal und bringen die erschöpften, frierenden, durchnäßten Ungarn ins Dorf. Im Auffanglager werden die Flüchtlinge gelabt, können ihre Kleider trocknen und wechseln. Dann nehmen sie die Wallerner in ihre Häuser auf, wo sie schlafen können. Jede Familie versorgt "ihre" Flüchtlinge, bis sie, meist erst am nächsten Abend, von den Autobussen abgeholt werden - und von der Grenze der nächste Schub kommt -. 800 waren es schon manche Nacht, aber keiner musste im Auffanglager zurückbleiben. Mehr als 6.000 waren es bisher insgesamt. Wochenlang kam das Dorf auch für die Verpflegung allein auf, bis es einfach über seine Kräfte ging. Seither schickt das Rote Kreuz Lebensmittel zur Unterstützung. Aber die unmittelbare Hilfe leisten die Wallerner weiterhin allein. Soweit im Innsbrucker "Volksboten".
Und dies ist keine Übertreibung. Als der Flüchtlingsstrom begann und immer mehr und mehr Flüchtlinge - Männer, Frauen und Kinder - über den Kanal kamen, zeigte sich das gute Herz unserer Bevölkerung. Ohne Unterschied, ob reich oder arm, jedes Haus wetteiferte im Helfen. Im Auffanglager in der "Alten Schule" waren die Flüchtlinge immer nur kurze Zeit, denn es kamen immer wieder Frauen und Männer, die die Armen in die Wohnung zum Essen und schlafen mitnahmen. Die meisten Flüchtlinge waren wirklich zum erbarmen. Viele kamen aus Budapest, andere von noch weiter her. Alle mussten durch Wiesen und Wälder über Äcker und unwegsame Gelände 30 - 40 und mehr km in ständiger Todesangst bei Nacht und Nebel bis zur österreichischen Grenze marschieren. Und dann standen sie vor dem Kanal, dem letzten Hindernis in die Freiheit. Die mit einem ortskundigen Führer kamen, konnten den Kanal trocknen Fußes überqueren, denn es stand zu dieser Zeit zufällig ein Baggerschiff im Kanal, von welchem ein schmaler Steg zum österreichischen Ufer führte.
Auf diesem Wege war das Herüberkommen verhältnismäßig einfach. Die Schiffsbesatzung und die Grenzsoldaten, die den Flüchtlingen behilflich waren oder zumindest beide Augen zudrückten, ließen sich aber ihre Hilfsbereitschaft gut bezahlen. Sie verlangten bis zu 1.000 Forint oder Schmuck - Ringe, Ohrgehänge usw. - für das Durchschleusen. Mittellose ließen sie auch so durchgehen. Außer den Juden kamen fast alle mittellos bei uns an, nur mit dem, was sie am Leibe hatten. und das war meistens recht fadenscheinig und arm. Trotz der winterlichen Kälte durchschwammen mehrere junge Männer und Kanal, denn sie kamen ohne Führer und sahen keine andere Möglichkeit zur Übersetzung. Manchmal irrten sie stundenlang mit durchnäßten Kleidern in der Nacht herum, bis sie endlich ganz durchfroren in Dorf fanden. Die Hunde schlugen an, Hoflampen wurden aufgedreht, hilfsbereite Menschen riefen die vor Kälte schnappernden Ungarn ins Haus, halfen ihnen aus dem nassen, eisigen Kleidern und steckten sie dann in die warmen Betten, die sie selbst vor Kürze verlassen hatten. Beispiele der tätigen Nächstenliebe sah man täglich. Als von der katholischen Hilfsorganisation "Caritas" und vom Roten Kreuz der Aufruf zum Spenden für die ungarischen Flüchtlinge erging, beteiligte sich noch jedes Haus mit Geld und Sachspenden, obwohl schon jeder bisher an Kleidungsstücken und Wäsche alles Entbehrliche hergegeben hatte.
Bald errichteten obige Hilfsorganisationen und der Malteser-Ritterorden in einer Klasse der Volksschule ein Kleiderlager, wo jeder Flüchtling ordentlich eingekleidet wurde. Diese Arbeit verrichteten die Lehrerinnen unter Leitung der Frau Schuldirektor Mollay. Auch andere hilfsbereite Frauen widmeten ihre Freizeit dem guten Werk. Als das Rote Kreuz für die Verpflegung der Flüchtlinge sorgte, bemühte sich die Frau Oberamtmann Tschida mit ihren Helferinnen, den Hunger der Flüchtlinge zu stillen. Für die Kranken sorgte unser Gemeindearzt Dr. Böhme. Die Organisation der ganzen Hilfsaktion oblag dem Herrn Pfarrer Haider, dem Herrn Oberamtmann Tschida und dem Herrn Bürgermeister Fink, die Tag und Nacht zur Verfügung standen, wenn es galt, die Flüchtlinge mit Autobussen weiter zu transportieren oder fehlendes nachzuschaffen. Rühmlich wollen wir auch der freiwilligen Feuerwehr gedenken, die Tag und Nacht in dem Auffanglager Bereitschaftsdienst versah, sowie der Männer und Burschen, die in den Nächten mit Traktoren entlang der Grenze auf und abfuhren, um die Flüchtlinge aufzulesen, und so schnell wie möglich ins Dorf zu bringen.
Unsere Bevölkerung hat die Bewährung in dieser Notzeit glänzend bestanden. Ihr goldenes Herz, ihre tätige Nächstenliebe soll nicht vergessen sein, sondern in Erinnerung bleiben als leuchtendes Beispiel für spätere Generationen.